Ausgabe 2/2024

Auf dem Weg zu einem neuen Stück Luzern

Nach 11 Jahren Planung wird seit letztem Dezember gebaut. An der Industriestrasse entsteht ein neuer Stadtteil, der über die Stadtgrenzen hinaus Pioniercharakter hat. Fünf Wohnbaugenossenschaften realisieren ganz unterschiedliche Angebote. 

von Fredy Zurkirchen, Redaktion Tripsche Zytig 

 

Es gibt in der Stadt Luzern wohl kein Quartier, das in den nächsten Jahren einen so krassen Wandel erleben wird, wie das Gebiet rund um die Industriestrasse. Letzten Monat ebneten die Luzerner Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Grossüberbauung «Rotpol» auf dem ewl-Areal den Weg zur Realisierung. Auf der anderen Seite der Industriestrasse sind die Bagger bereits fleissig mit dem Aushub beschäftigt. Hier bauen die Baugenossenschaften abl, Liberale Baugenossenschaft Luzern, Wogeno, GWI und Wohnwerk gemeinsam neun Neubauten und fünf Umbauten: rund 150 Wohnungen, zwei Kindergärten, eine Kita, viel Gewerbe- und Kulturraum sowie Gemeinschaftsbauten entstehen.

 

Eine bewegte Geschichte

Schon der Name verrät die industriell-gewerbliche Vergangenheit des Areals. Im frühen 20. Jahrhundert wurde hier mit Käse und Eisenwaren gehandelt, Glas-, Porzellan und Keramikware gelagert, Erfrischungsgetränke abgefüllt, sowie die Pferde für die Gespanne untergebracht. Später wurde das Gebiet durch vielerlei Kleingewerbe, Kulturschaffende und Wohnende zwischengenutzt. Als die Stadt das Areal 2012 an einen Zürcher Investor für die Realisierung von Wohnungen und Büros verkaufen wollte, wehrte man sich. Mit Erfolg: Die von der IG Industriestrasse lancierte Initiative «Ja zu einer lebendigen Industriestrasse» wurde am 23. September 2012 von der Stadtluzerner Bevölkerung angenommen. Der Verkauf war vom Tisch. Nun musste die Stadt das Areal im Baurecht an gemeinnützige Wohnbauträger abgeben.

 

Die Initianten gründeten eine eigene Genossenschaft (GWI) und schlossen sich mit vier weiteren Baugenossenschaften zur Kooperation Industriestrasse zusammen. Unter diesen setzte ein jahrelanger partizipativer Prozess ein, der mit der Fertigstellung der Überbauung im 2027 erfolgreich abgeschlossen werden soll.

 

Urban, gemeinschaftlich, solidarisch

Die lebendige Geschichte, die Vielfältigkeit und die Offenheit des Orts wird im Neubau weiterleben. Entstehen soll ein buntes neues Quartier, in dem Arbeiten, Wohnen und Freizeit mit kurzen Wegen zusammenkommen. Was erhalten werden konnte bleibt erhalten, wird restauriert oder wiederverwendet: das Käselager, der Rossstall, das Eisenlager, wo Platz für künftige Wohnateliers entsteht, oder der rostige Hangar, der zur Loftwohnung auf einem der Neubauten umfunktioniert wird. Anderes wird hingegen neu gebaut.

 

Kern der neuen Siedlung bildet das gemeinschaftliche Zusammenleben. Gemeinsame Terrassen, die über Brücken mit anderen Gebäuden erschlossen sind, gehören ebenso dazu wie freie Räume und Flächen, die von den Bewohnenden gemeinsam gestaltet und genutzt werden, oder flexible Wohnformen, wo einzelne Zimmer bei Bedarf zugemietet oder abgegeben werden können. Das ganze Areal soll zudem für die Allgemeinheit zugänglich bleiben. Bei der Vermietung wird auf eine vielfältige soziale Durchmischung gesetzt. 

 

Sinnig: Der Projektname des Siegerprojekts «mon oncle». Er bezieht sich auf die gleichnamige Filmkomödie von Jacques Tati aus dem Jahr 1958, in welcher dem sterilen Komfort einer rationalen Wohn- und Lebensweise mit der humorvollen Lebensweisheit eines gänzlich unangepassten Mannes begegnet wird. Nomen est omen!